Erstmals in 15 Jahren haben ausschließlich Forscherinnen die Jury mit ihrer Arbeit zu Dentalmaterialien überzeugt und den Nachwuchspreis IADR/Kulzer Travel Award gewonnen. Zeigen die Gewinnerinnen für die Wissenschaft, was für das Studium seit Jahren ein wachsender Trend ist? Wird auch die Forschung weiblicher? Der Blick in die Studien zeigt: Noch nicht.
Das beobachten in ihrem Alltag auch die Präsidentin der IADR Dental Materials Group Prof. Josette Camilleri und Dr. Janine Schweppe, Zahnärztin und Head of Scientific & Clinical Affairs bei Kulzer. Eine Auszeichnung wie der Travel Award kann daher für die angehenden Wissenschaftlerinnen eine große Chance sein – er ermöglicht ihnen die Teilnahme am weltweit wichtigsten Dentalkongress.
In Deutschland steigt seit Jahren die Tendenz – inzwischen sind bereits zwei Drittel der Studierenden Frauen1. Global sieht es meist ähnlich aus, der Frauenanteil in der Zahnmedizin wächst seit Jahren stark, wie Studien zeigen. Doch im Lehr- und Forschungsbetrieb an Universitäten sind Frauen nach wie vor seltener zu finden. Im Vergleich zu den Absolventinnen ist der Frauenanteil sehr gering: Die meisten Fakultätsmitglieder an Universitäten in den untersuchten Ländern sind männlich. Mit Ausnahme von Frankreich zeigt sich, dass die Frauenquote je höherrangig eine Position an der Universität ist, immer weiter abnimmt2. Dies bestätigt auch eine Studie zur Situation bei Dekan-Positionen in den USA aus dem Jahr 2022: Eine weibliche Dekanin kommt auf fünf männliche Dekane an US-amerikanischen zahnmedizinischen Fakultäten3.
Geschlechtergerechtigkeit an der Uni? Noch viel zu tun
Dieses Bild bestätigt die Präsidentin der IADR Dental Materials Group Josette Camilleri aus eigener Erfahrung. Sie selbst hat ihren Zahnmedizin-Abschluss 1992 in Malta gemacht und arbeitet seit 2018 an der University of Birmingham, wo sie forscht und lehrt: "Es gibt eine Reihe Mitarbeiterinnen. Ich bin jedoch die erste Frau, die 2022 eine klinische Professur sowohl in der Forschung als auch in der Lehre erhalten hat."
Janine Schweppe, hat selbst lange an der Universität gearbeitet und steht immer noch in engem Kontakt mit der Wissenschaft. Sie beobachtet: „Die Anzahl der Lehrstuhlinhaberinnen an deutschen Universitäten steigt. In meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer deutschen zahnmedizinischen Fakultät vor über 20 Jahren, gab es noch von 5 Lehrstuhlinhabern nur eine Frau. Heute hat sich die Situation insgesamt bereits verbessert, aber es gibt noch viel zu tun bis geschlechtsspezifische Unterschiede in der Forschung der Vergangenheit angehören.“
IADR/Kulzer Travel Award eine Chance für mehr Sichtbarkeit in der Fachwelt
Auch bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind Frauen noch nicht so stark vertreten wie ihre männlichen Kollegen, wie etwa eine Studie aus 2017 in den USA zeigt: Die am stärksten staatlich geförderten Zahnmedizin-Universitäten in den USA weisen auf eine signifikant höhere Anzahl von Veröffentlichungen von Männern im Vergleich zu Frauen hin (34 vs. 20,4)4.
Umso mehr kann eine Auszeichnung wie der IADR/Kulzer Travel Award einen Beitrag dazu leisten, dass die Forschungsarbeit der jungen Wissenschaftlerinnen Aufmerksamkeit in der Fachwelt bekommt. Denn dank des Awards, der es den Gewinnern ermöglicht an dem wichtigsten Dentalkongress der Welt teilzunehmen, können sie ihre Arbeit einem breiten Publikum vorstellen: „Das Reisesponsoring kann Nachwuchswissenschaftlern, egal welchen Geschlechts, helfen, ihre eigenen Forschungsergebnisse einem größeren Fachpublikum zu präsentieren und so sichtbarer in der Wissenschaftswelt zu werden“, sagt Janine Schweppe. Sie und Josette Camilleri hoffen, dass der von Kulzer gesponserte Preis und die damit verbundene Anerkennung, den Nachwuchs ermutigt, zu forschen und in die Wissenschaft zu gehen. Janine Schweppe: „Das kann gerade für Frauen eine große Chance sein, wie unsere fünf Gewinnerinnen in diesem Jahr beweisen.“
„Frauen halten sich zurück, weil sie sich ihrer Stärken nicht bewusst sind“
Warum Frauen weiterhin weniger stark in dem wissenschaftlichen Betrieb vertreten sind und seltener hohe Positionen erreichen, sieht Dr. Janine Schweppe auch darin begründet, dass an Frauen soziale und kulturelle Erwartungen gestellt werden, die Druck auf sie ausübten. „Dazu gehört auch das Thema Familie und Beruf – eine wissenschaftliche Karriere erfordert viel Planung, aufwendige Studienarbeit, Publikationen und Kongressteilnahme.“ Außerdem fehle es an weiblichen Vorbildern in hochrangigen Forschungspositionen, als Präsidentinnen von Fachgesellschaften, als Entscheiderinnen bei Forschungsgeldern und im Editorial Board von Fachzeitschriften.
Auch Josette Camilleri sieht es zum Teil in den sozialen Erwartungen begründet, dass Frauen unter ihren Möglichkeiten bleiben. Aber sie möchte junge Frauen auch ermutigen, sich mehr zuzutrauen: „Obwohl die Schwierigkeit, Familie und Beruf gut zu vereinbaren, ein Faktor ist, der dazu beiträgt, bin ich der Meinung, dass die größte Einschränkung darin besteht, dass die talentierten Frauen sich zurückhalten, da sie sich ihrer Stärken nicht bewusst sind. Sie werden nicht genug herausgefordert, um weiterzukommen und es an die Spitze zu schaffen.“ Sie wünscht sich, dass das Geschlecht keine Rolle spielt, sondern angehende Wissenschaftler sich trauen, das Maximum aus ihren Fähigkeiten herauszuholen. „Es wird viele Stolpersteine auf dem Weg geben, aber jeder Stolperstein wird wichtige Erkenntnisse bringen.“
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1Quelle: Statistisches Bundesamt, Approbationsstellen der Länder, Statistisches Jahrbuch der Bundeszahnärztekammer zitiert nach Bundeszahnärztekammer
2Tiwari T et al.: Gender Inequalities in the Dental Workforce: Global Perspectives. Advances in Dental Research. 2019;30(3):60-68
3Bompolaki D, Pokala SV, Koka S. Gender diversity and senior leadership in academic dentistry: Female representation at the dean position in the United States. J Dent Educ. 2022 Apr;86(4):401-405.
4Simon L et al: Gender Differences in Academic Productivity and Advancement Among Dental School Faculty. Journal of Women's Health 28 (10), 2019: 1350-4.
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